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Die Anklage: Muttermord.

Die eigene Mutter erschlagen, nach einem Streit um Geld. Sie in eine Dachbox gelegt, wegzuräumen versucht, wo sie dann von Polizeibeamten gefunden wurde. Das ist die Sachlage eines in einst gut-bürgerlichen Verhältnissen spielenden Schramberger Falles. Bei aller Unschuldsvermutung – das steht eigentlich fest. Die Frage, die die Jugendkammer am Ende des Prozesses gegen den geständigen jungen Mann zu klären hat: War es Mord (was er leugnet)? Und wie wird er zu bestrafen sein?

Strafsache gegen einen Heranwachsenden wegen des Vorwurfs des Mordes u.a. 

Dem zur Tatzeit 20-jährigen Angeklagten, einem deutschen Staatsangehörigen, wird vorgeworfen, am 20. Februar 2025 im Rahmen eines Streites mit seiner Mutter, diese durch mehrere Schläge mittels eines Werkzeugs getötet zu haben. Anschließend soll er die Leiche seiner Mutter in eine Pkw-Dachbox gelegt und in den Kellerabgang befördert haben. Dort soll sie von den Polizeibeamten, die nach der vermeintlich Vermissten suchten, am 21. Februar 2025 aufgefunden worden sei. 

Zudem soll der Angeklagte Ende 2023 im Besitz einer jugendpornografischen Videodatei und 5 jugendpornografischer Bilddateien gewesen sein. 

Aus einer Veröffentlichung des Landgerichts Rottweil.

Der junge Mann ist gebürtiger Schramberger. Zur Tatzeit 20 Jahre alt, beschäftigungslos. Am Nachmittag jenes Donnerstags soll er mit seiner 54-jährigen Mutter in ihrer Wohnung in der Tösstraße in Schramberg in Streit geraten sein. Die Anklage schildert das so: Die Mutter war gerade von der Arbeit heimgekommen und warf dem Sohn vor, die Familienkonten geplündert zu haben, und zwar umfangreich. Auf dem Girokonto waren da noch drei Euro übrig, ein weiteres Konto war mit mehr als 6000 Euro überzogen. Strom, Gas, Miete – nur teilweise oder gar nicht bezahlt. Und das Gehaltskonto der Mutter ist zu diesem Zeitpunkt gepfändet. Nach dem Tod des Vaters hätte er das Einkommen des kleinen Haushalts, zu dem er nach dem abrupten Ende seiner Ausbildung nichts beitrug, zuverlässig verwalten sollen. Stattdessen verschwendete er es.

Mit einem Fleischklopfer von WMF

Die Mutter reagierte mit Vorwürfen. Sie hatte erfahren, dass ihr Sohn keine Ausbildungsstelle mehr hat. Es kam zum Streit. Und im Rahmen dessen soll der 20-Jährige beschlossen haben, die Mutter zu töten. Mit einem WMF-Fleischklopfer aus Edelstahl schlug er laut Anklage auf sie ein. „Bis der Fleischklopfer zerbrach“, las die Staatsanwältin aus der Anklageschrift vor. Mit Dr. Beckmann’s Fleckenteufel „Blut & Eiweiß“ soll der Junge  versucht haben, die Spuren zu beseitigen. Später soll er den Leichnam seiner Mutter in eine Dachbox gelegt haben, den er im Keller verstauen wollte.

Ein schlauer Junge, dessen Wangen glühen

Marc F. heißt der junge Mann. An diesem ersten Prozesstag wegen Muttermords vor dem Landgericht Rottweil sitzt er zusammengesunken da, versteckt sich zunächst hinter einem DIN-A-4-Block. Dann hinter seinen ineinander verschränkten Händen, an denen gefesselt er in den Saal geführt wurde. Er versteckt sich zunächst vor den neugierigen Objektiven der Presseleute. Und vor dem Publikum im proppevollen Saal. Und vor den Verwandten seiner toten Mutter, seinen Verwandten, deren vier sich dem Verfahren als Nebenkläger angeschlossen haben. Marc F.s Wangen glühen rot. Er ist ein junger Mann mit kindlicher Ausstrahlung, aber mit wachem Verstand. Spricht fehlerfreies Hochdeutsch ohne die typische Schramberger Färbung. Sagt Sätze wie „er war insgesamt betrachtet ein Freund der Familie“ über einen Schramberger, der ihnen in der Not unter die Arme zu greifen versprochen habe. Einen Mann mit einem in Schramberg und weit darüber hinaus bekannten Namen. Ohnehin ist die Familie von Marc F. in Schramberg daheim. Mit dem Schulrektor ist man bekannt, beispielsweise.

„Wie konnte es nur so weit kommen – eine eindeutige, klare Antwort gibt es wohl nicht.“ So formuliert es Marc F. in einem einleitenden Rückblick anfangs des Prozesses gegen ihn. Und er zählt auf: „Ich wollte das alles nicht. Ich wollte nicht meine Schule abbrechen, ich wollte nicht meine Ausbildung vernachlässigen, dass es keine andere Option gab, als mich zu kündigen. Ich wollte auch nicht jeden anlügen, dass sich die Balken biegen.“ Die weiteren Worte verlieren sich in Tränen, Schluchzen, Husten. Er erlebe Gewalt und Drogenkonsum in der Justizvollzugsanstalt, erzählt er. „Wenn man es herunterbricht, bin ich dort das Opfer.“ Und zu den Folgen der Tat: Seine Familie, beziehungsweise „das, was von ihr noch übrig war“ (nach dem Tod seines Vaters 2022) „ist zerstört“.

Latein: eine Fünf

Ein juristisch wesentlicher Punkt: „Ich wollte nicht, dass meine Mutter stirbt“, in diesem Punkt wolle er der Staatsanwaltschaft widersprechen, sagt Marc F.. Er wünsche sich oft, dass seine Mutter noch da sei. Aber es gebe „keine Möglichkeit mehr, etwas zu ändern.“ Seine abschließenden Worte werden wieder von Tränen erstickt. Als er sich später gefangen hat, antwortet er auf Fragen des Vorsitzenden Richters klar, flüssig und pointiert. Beispiel: „Wie war Ihre Grundschulzeit?“ – „Ereignislos. Schön, eigentlich.“ Und: „Ich musste nie lernen, mir ist alles zugeflogen.“

Die Grundschule schloss er mit einer Gymnasialempfehlung ab. Ging auf das Schramberger Gymnasium, wo ihm nichts mehr zuflog. Latein: eine Fünf. „Ich war faul, lernfaul.“ Die Nachmittage und Abende brachte er vor der X-Box herum. Blieb in der siebten Klasse sitzen. Danach ging es aufwärts. „Das war die richtige Entscheidung, mich sitzen bleiben zu lassen“, analysiert er sich selbst. Er habe endlich Freunde gefunden. Eine Beziehung zu einer Frau habe aber nie eine Rolle gespielt, er hatte nie Interesse. Auch nicht an einem Mann. „Ich hatte nie Interesse an Sexualität, bis heute nicht.“ Wobei bei ihm Bilder nackter Jungs gefunden worden sein sollen. 

Die Strafkammer. Foto. Peter Arnegger

Die Kammer unter Vorsitz von Richter Karlheinz Münzer geht, so sagt er es auch, in die Tiefe. Kindheit, Jugend, Schulzeit, Familienleben werden detailliert aufgefächert. Marc F. macht bereitwillig mit. Ob Fragen zu sexuellen Vorlieben (angeblich keine), zu sportlichen Tätigkeiten (zeitweilig Basketball), zu anderen Hobbys (zu denen ihm das Durchhaltevermögen fehlte) und zum Alkohol- und Drogenkonsum (gleich null) – F. antwortet. Auch auf die Frage, wie das Verhältnis zur Mutter gewesen sei. „Eigentlich gut.“ Zum Vater? Gut, mit gewissen Einschränkungen. Schläge bezog er keine, aber der Vater war eine Respektsperson, streng und aufbrausend, erzählt der Sohn. Im Februar 2022 starb der Vater an Krebs.

Der Tod des Vaters – eine Zäsur

Bis zum Tod des Vaters sei seine finanzielle Situation „unauffällig“ gewesen, sagt er. 100 Euro Taschengeld bezog er pro Monat. Er kam gut durch. Bis dahin. Nach dem Tod seines Vaters sei er fast nicht mehr aus dem Bett gekommen. Psychiatrische Hilfe, ja, „aber mit 18 Monaten Wartezeit. Ich war relativ hilflos“. Die Tage begannen spät für ihn, 12, 14 Uhr. Ein gemeinsames Essen mit der Mutter, ein Spaziergang allein, abends Stunden vor dem PC, dann der Versuch, im Bett einzuschlafen, „was sich verständlicherweise schwierig gestaltete.“ Er habe sich „in meinem Elend gesuhlt“.

Marc F. beendete die Schule nach der Zehnten mit der automatisch ausgestellten Mittleren Reife, bewarb sich bei einem namhaften Schramberger Unternehmen um eine Ausbildung als Mechatroniker. Sei mit Handkuss genommen worden, habe die Lehre aber nie anständig angetreten, war nach eigenen Angaben einmal in der Berufsschule und fünfmal bei der Firma. „Ich konnte einfach nicht.“ Eine weitere Ausbildung, die er bei einem IT-Unternehmen bekommt, tritt er letztlich auch nicht an. „In der Berufsschule war ich gar nicht.“ Er erhält erneut die Kündigung, er bleibt wieder daheim, verschläft und vertrödelt die Tage mit Ballerspielen, Ego-Shootern, trifft sich gelegentlich mit Freunden. „Bis zur Inhaftierung.“ Über die Zeit sagt er aber „es ging mir gut“, kann dem Richter spontan vier Namen von Freunden nennen, mit denen er sich wöchentlich getroffen habe. Sich und sein Zimmer habe er ebenfalls nicht bis wenig vernachlässigt. „Meine Mutter hat Vollzeit gearbeitet, ich habe den Haushalt gemacht. Ich liebe kochen.“

Eigentlich recht wohlhabend

Ums Geld hätte er sich zuverlässig kümmern sollen, „das hat sich einfach so ergeben.“ Er habe Vollmachten bekommen, für alles, „auf ihren Wunsch hin“. Damals sei die finanzielle Situation sehr gut gewesen. Es gab eine Lebensversicherung von 50.000 Euro, eine Berufsunfähigkeitsversicherung, die ausgezahlt habe. 100.000 bis 120.000 Euro seien nach dem Tod des Vaters ausgezahlt worden. Und es gab eine Junghans-Uhren-Sammlung des Vaters. 20.000 Euro. Und drei Oldtimer zu je etwa 25.000 Euro Wert. Und die Mutter verdiente ja. Dazu kamen die Halbwaisenrente bei ihm und die Witwenrente für sie.

„Im Nachhinein betrachtet bin ich nicht gut mit dem Geld zurechtgekommen.“ Sie hätten „relativ verschwenderisch“ gelebt, Städtereisen gemacht, Lebensmittel in größerem Stil gekauft und weggeworfen. Die zweiköpfige Familie zog um und richtete sich komplett neu ein. Das Geld wurde immer weniger. „Wir haben aber weitergemacht und beide keine Gedanken gemacht.“ Seine Mutter habe irgendwann gemerkt, dass was nicht passen kann, „aber ich habe immer eine Ausrede gefunden, dass doch alles gut ist.“ Sie habe ihm die Finanzen dennoch überlassen.

Finaler Streit am Tattag

Anfang 2025 wurde es finanziell richtig eng. Die Miete war überfällig, der Vermieter drängelt. Marc F. spielt auf Zeit. Kurz vor dem Tag der Tat „kam alles raus“. Die beiden streiten nach seinen Worten „nicht mal richtig“, haben sich einfach in Ruhe über die gesamte Finanzsituation unterhalten, vereinbaren, dass sie künftig „selbst draufschauen soll“. Es geht ein letztes Mal gut. Gegenseitige Versicherungen: Wir schaffen das.

Am Tattag selbst hatte er Kartoffelecken im Ofen. Und Hähnchenbrustfilets vorbereitet. Die habe er teilweise mit dem Fleischklopfer plattiert, wie er erzählt. Jenem WMF-Küchengerät, das er später gegen seine Mutter einsetzen wird. Sie kommt von der Arbeit heim, er wäscht gerade den Fleischklopfer ab, will ihr noch eine letzte Sache beichten – dass er gar keine Ausbildungsstelle habe. Das war dann wohl eins zuviel, sie reagiert nach seinen Worten „schockiert, wutentbrannt“, es kommt zum finalen Streit. Sie schreit ihn an, schlägt ihn, wie er sagt überraschend, ins Gesicht, zweimal.

Er hat noch den Fleischklopfer in der Hand. Und schlägt zu. „Ich kann mich nur noch daran erinnern, dass ich im Schlafzimmer stehe, alles war voller Blut. Ich hatte Panik … Ich war mir hundertprozentig sicher, dass sie tot ist.“ Dieses Geständnis, das Marc F. immer noch mit krampfhaft verschränkten Fingern ablegt, löst unter den anwesenden Angehörigen der Toten – die auch seine Familie sind – Schluchzer und Stöhnen aus.

Den ersten Schlag will er „reflexartig“ ausgeführt haben. An die weiteren Schläge erinnere er sich nicht mehr. Auch nicht, ob seine Mutter noch Schreie ausgestoßen habe. Dann setzt die Erinnerung wieder ein. Marc F. stellt fest, „dass meine Mutter tot ist. Sie liegt da, ich stehe vor ihr. Und ich weiß tief in meinem Innereren, das, was vor mir liegt, ist nicht lebendig“. Zum Auslöser der Tat: „Ich war überfordert, ich hatte Angst.“ Und aufgehört zu schlagen habe er wohl deshalb, „weil der Klopfer auseinandergebrochen ist“.

Nach der Tat

Er habe die beiden Teile des Fleischklopfers in den Müll geworfen, habe dann versucht, alles aufzuwischen. „Der Leichnam lag noch im Schlafzimmer. Auf dem Rücken.“ Ihm wird klar, dass sich ihm noch Besuch angekündigt hatte, er geht dafür einkaufen, Energy-Drinks, nimmt im Laden noch Putzsachen mit. „Das naheliegendste wäre gewesen, die Polizei zu rufen. Aber in dem Moment war der Gedanke gar nicht in meinem Kopf.“ Besuch kommt, eine halbe, dreiviertel Stunde lang ist der da, sie trinken die Energy-Drinks. Später geht er ins Bett, schläft. Ab wann, weiß er nicht mehr.

Am Tag danach macht er sauber. Und holt sich die Dachbox, die ohnehin in der Wohnung im Weg herumgestanden habe. In diese legt er die Mutter. Will sie in den Keller des Mehrfamilienhauses bringen. „Und da hat es schon geklingelt.“ Die Polizei wollte bereits nach der Mutter sehen. Die Beamten entdecken die Leiche. Marc F. kommt in Untersuchungshaft.

So schildert der junge Mann sein Leben und die Tat, so deckt sich das auch mit der Anklage.

Die Rechtsfolgen

War es Mord? Oder „nur“ Totschlag? Liegen niedere Beweggründe vor, wurde die Tat heimtückisch und besonders grausam begangen? Dann wäre es Mord gewesen. Diese Punkte fließen in die Rechtsfolgen der Tat ein, die Strafe, die gegen Marc F. verhängt werden wird. Wie lange er im Gefängnis bleiben muss, hängt davon ab.

Für die Nebenklage steht fest: Niemand hat einen Fleischklopfer in der Hand, wenn die Mutter heimkommt und er mit ihr in Streit gerät. Dahinter müsse Vorsatz stecken. Eine Frage, um die es sich auch ein wenig dreht: Wer hat schon eine Pkw-Dachbox in der Wohnung herumstehen? Beziehungsweise: bereitstehen?

Sein Verteidiger stellt bereits am ersten Prozesstag dagegen darauf ab, dass sein Mandant, Marc F., jetzt im Gefängnis versuche, sein Abitur nachzumachen. Sich um eine Ausbildung bemühe. Wie: sich zu bessern versuche.

Und dann gibt es noch den Besitz von Jugendpornografie, den Marc F. vollumfänglich zugibt. Das wird den Strafrahmen nicht wesentlich beeinflussen.

Für den Prozess sind vier Verhandlungstage angesetzt. Vier Nebenkläger haben sich samt Nebenklägervertretern der Anklage angeschlossen, 17 Zeugen wurden geladen, etwa die Streifenbeamten, die zunächst den Sohn nach der vermissten Mutter befragt haben, dann die Tote gefunden haben. Einer von ihnen erzählte bereits am ersten Verhandlungstag, dass Marc F. gefasst und ruhig, ziemlich platt gewirkt habe, dass er sich widerstandslos habe festnehmen lassen. Zudem sind zwei Sachverständige geladen, etwa einen psychiatrischen Sachverständige. Das Urteil wird für den 12. November 2025 erwartet.




Peter Arnegger (gg)

… ist seit gut 25 Jahren Journalist. Seine Anfänge hatte er bei der Redaktion der “Schwäbischen Zeitung” in Rottweil, beim Schwäbischen Verlag in Leutkirch volontierte er. Nach einem Engagement bei der zu diesem Verlag gehörenden Aalener Volkszeitung wechselte Arnegger zur PC Welt nach München, einem auf Computer-Hard- und -Software spezialisierten Magazin. Es folgten Tätigkeiten in PR und Webentwicklung.2004, wieder in seiner Heimat angekommen, half Arnegger mit, die NRWZ aus der Taufe zu heben. Zunächst war er deren Chefredakteur, und ist zwischenzeitlich Geschäftsführer der NRWZ Verwaltungs GmbH – und als solcher der verantwortliche Journalist der NRWZ.Peter Arnegger ist 1968 in Oberndorf / Neckar geboren worden.

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